Zucken Sie schon ein bisschen zusammen, wenn Sie den Begriff „Newsroom“ hören? Der Hype der letzten Jahre scheint ungebrochen: Tagungen, Workshops, Exkursionen erfreuen sich hoher Teilnehmerzahlen. Viele Kommunikationsprofis suchen angesichts der Herausforderungen einer entfesselten digitalen Kommunikationswelt Orientierung – und staunen oft erst mal. Es ist ja in der Tat sehr eindrucksvoll, was insbesondere manch großes DAX-Unternehmen da in Sachen Newsroom & Co. zu bieten hat.
Zugleich schwingt bei Kommunikations- oder Marketingverantwortlichen insbesondere von Unternehmen aus der zweiten oder dritten Reihe oft ein leiser Zweifel mit: „Sie haben gut reden, aber funktioniert das auch bei einer kleineren Organisation?“ Sehr gut kann ich mich an diese Frage aus dem Publikum erinnern, als ich vor einigen Jahren das Konzept der rein digitalen Jahres-Pressekonferenz des Continental-Konzerns auf dem Kommunikationskongress in Berlin vorgestellt habe. Meine Antwort damals wie heute: „Im Prinzip: Ja.“ Und das gilt auch für den Newsroom-Ansatz.
Wirksame Kommunikation und Spaß bei der Arbeit
Ob weltbekannter Gigant aus dem Silicon Valley oder „Hidden Champion“ aus dem schwäbischen Kocher-Tal, die Grundregeln der Kommunikation gelten universell. Das Handwerkszeug ist entsprechend grundsätzlich dasselbe. Gleichzeitig sind die Herausforderungen gerade für kleinere Kommunikations-Organisationen nicht nur „gefühlt“ höchst anspruchsvoll:
- Mit engen Ressourcen wachsenden Ansprüchen gerecht werden.
- Kommunikation und Marketing zusammenführen und Grenzen überwinden.
- Kommunikationsstrategie anpassen oder entwickeln.
- Digitalisierungsstrategie für die Kommunikationsarbeit entwickeln.
- Diverse Zielgruppen über eine große Bandbreite von Kanälen passgenau ansprechen.
- Wert schaffen und die Wertschaffung nachweisen.
- Strukturen, Prozesse sowie Arbeits- und Verhaltensweisen (möglicherweise) grundlegend verändern und Ängste vor Veränderung adressieren.
Oft unausgesprochen stehen „weiche Ziele“ der Beteiligten als „Elefant, den jeder sieht und keiner thematisiert“ mit im Raum, wie zum Beispiel:
- Erfolgreich sein und Spaß bei der Arbeit haben.
- In einer zunehmend digitalisierten Kommunikationswelt gut überleben.
- Von Chefetage und im Unternehmen Anerkennung für die Arbeit bekommen.
- Mit anderen Abteilungen auf Augenhöhe agieren.
- Anspruchsvoll und ideenreich kommunizieren.
- Konflikte und tiefgreifende Veränderungen an Strukturen und Prozessen vermeiden.
Wir bräuchten, wir müssten, wir sollten…
Den meisten Verantwortlichen ist der Veränderungsdruck durch die digitalisierte Kommunikationswelt nur allzu bewusst. Gleichzeitig gibt es eine gewisse Scheu, die bisher gewohnten, bewährten und lange durchaus erfolgreichen Routinen anzufassen. Das führt zuweilen zu Vermeidungsstrategien, Teil- oder Scheinlösungen, wie zum Beispiel diesen:
- Wir brauchen Storytelling und tolle Videos, dann wird alles gut!
- Wir brauchen ein neues Tool, ein neues Internet, ein neues Intranet, Social Media, dann wird alles gut!
- Wir brauchen mehr Budget, mehr Leute, dann wird alles gut!
- Wir brauchen einen Newsroom, dann wird alles gut!
- Wir brauchen „ALLES“, dann wird alles gut!
Finden Sie sich hier schon wieder? Nicken Sie ruhig, wenn Sie alleine und unbeobachtet sind – das ist vollkommen in Ordnung. Entlang meines – zugegeben – schon etwas längeren Berufsweges als Journalist und Medienchef eines DAX-Unternehmens habe ich auch ab und an mit Teillösungen operiert. Zwischen Tagesgeschäft, Managementwünschen und Diskussionen mit den Mitarbeitern ist das nur allzu normal. Sie erinnern sich an dieses „weiche Ziel“: In einer zunehmend digitalisierten Kommunikationswelt gut überleben…
Und jetzt?
Ich kenne kein Beispiel, dass das Top- Management eines Unternehmens die Einführung eines Newsrooms angeordnet hat, um so allen Herausforderungen der digitalen Kommunikationswelt zu begegnen. Da müssen Sie schon selbst aktiv werden und herausfinden, ob das Newsroom-Prinzip für Sie und Ihr Team das richtige ist. Das ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn man sich einige Fragen ehrlich beantwortet, wie zum Beispiel diese:
- Arbeiten Sie themenfokussiert, statt auf Zuruf/was so anliegt?
- Verfolgen Sie einen integrierten Kommunikationsansatz, statt Presse, Online, Intern, Marketing, Employer Branding, jeder für sich?
- Besteht die Bereitschaft zur transparenten Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg, statt Silo/„Käschtle“?
Hilfreich sind auch Fragestellungen wie diese:
- Entspricht die Organisation der Kommunikationsabteilung/en Ihrem Wunschbild?
- Entspricht die Zusammensetzung des Kommunikationsteams Ihrem Wunschbild?
- Entspricht die Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung Ihrem Wunschbild?
- Entspricht die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen, zum Beispiel HR, Marketing, F&E, Vertrieb, Controlling, Ihrem Wunschbild?
- Haben Sie die richtigen Tools für die Kommunikationsarbeit im Einsatz?
- Haben Sie Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar definiert und werden diese auch gelebt?
Wenn Sie die Mehrzahl der Fragen mit „Nein“ beantworten, habe ich eine schlechte Nachricht für Sie: Die Einführung eines Newsrooms ist bei Ihnen sehr wahrscheinlich in die Kategorie „Scheinlösung“ einzuordnen.
Das OK-Kommunikationssystem
Aber es gibt auch eine gute Nachricht, und die besteht aus zwei Buchstaben: OK. Dabei steht OK in Schritt 1 für „Optimieren und Kooperieren“ und in Schritt 2 für „Orchestrieren und Kommunizieren“. Im ersten Schritt gilt es, den Istzustand Ihrer Kommunikationsorganisation und -arbeit zu analysieren und eine Zielbeschreibung zu entwickeln. Dazu gehört die Definition von Leitthemen, Zielgruppen, Kanälen und Formaten ebenso wie die von Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Es geht aber auch darum, wie Sie als Team zusammenarbeiten und mit anderen Abteilungen kooperieren.
Im zweiten Schritt wird die Kommunikation durch einen Dreiklang aus mittel- bis langfristiger Themen- und Eventplanung und Content-Entwicklung orchestriert, am besten auf Basis eines dafür konzipierten Tools. Wichtig ist dabei, dass die Organisationsstruktur abgebildet wird und zugleich ein transparenter und strukturierter Austausch von Ideen, Planung und Inhalten ermöglicht wird. Das ist die Grundlage für effektive Themen-, Planungs- und Content-Meetings. Aber bitte nicht in noch mehr der „Meetingeritis“ verfallen, vielmehr gehört zum „Orchestrieren“ essenziell die Klärung dieser Fragekette: Wer tauscht sich wie oft und wann in welchem Kreis zu was am sinnvollsten aus? In jedem Fall gehört zum Zielbild: Jeder muss zu jeder Zeit wissen können, was anliegt und zu tun ist. Als Ergebnis lassen sich Inhalte konzertiert ausspielen und Events gezielt als Plattformen nutzen.
Natürlich darf eine maßgeschneiderte Evaluation nicht fehlen. Aber Vorsicht: Evaluation von Kommunikationsarbeit und -wirkung sowie „Buzz“ in den (digitalen) Medien ist mehr, als in einem Newsroom große Bildschirme aufzuhängen, die ständig Schlagzeilen und bunte Grafiken zeigen. Aber das ist nochmal ein ganz eigenes Thema. Ob Sie irgendwann ohne Newsroom-System, in einem digital-virtuellen oder auch räumlich „echten“ Newsroom arbeiten, wird sich im Laufe des OK-Prozesses ergeben. Ganz ohne Zusammenzucken, ganz ohne Hype, ganz sicher!