„Wie soll ich denn mit einem Ticketsystem meine Kommunikation planen und umsetzen?“ Mein Gesprächspartner aus der Presseabteilung einer großen Bank ist hörbar einer gewissen Verzweiflung nahe: „Die Kollegen aus der IT verstehen irgendwie nicht so recht, dass wir mit Tools aus ihrem Standardbaukasten wenig bis gar nichts anfangen können. Aber andererseits dürfen wir uns als Kommunikationsabteilung nicht zu laut beschweren: Wir haben noch nicht richtig definiert, wie eine integrierte Kommunikationsarbeit bei uns am besten funktionieren würde und was wir dafür benötigen.“
Sätze wie diese höre ich regelmäßig im Dialog mit Kommunikationsprofis aus jeder Art von Unternehmen bzw. Organisation. Im Gespräch versuche ich dann in der Regel herauszufinden, auf welcher der vier wesentlichen „Erkenntnisstufen“ die jeweilige Abteilung bzw. deren Führung in Sachen Organisation von integrierter Kommunikation unterwegs ist:
- Organisation von integrierter Kommunikation? Keine Ahnung!
- Wir ahnen, dass wir ein Problem haben, kennen es aber (noch) nicht (genau).
- Wir kennen unser/e Problem/e, aber die Lösung/en (noch) nicht.
- Wir kennen unser/e Problem/e und die Lösung/en.
Die meisten Gesprächspartner sortieren sich „irgendwo zwischen Stufe 2 und Stufe 3“ ein. Oft stellt sich im weiteren Verlauf des Gedankenaustauschs heraus, dass es Lösungsansätze gibt, die oft sehr ähnlich klingen:
- Wir brauchen Storytelling und tolle Videos!
- Wir brauchen eine neue/eine andere Organisation!
- Wir brauchen ein neues Tool, ein neues Internet/Intranet, Social Media!
- Wir brauchen mehr Budget/Leute!
- Wir brauchen einen neuen Chef/eine neue Chefin!
- Wir brauchen alles!
Für mich sind das in den allermeisten Fällen Schein- oder Teillösungen! Oft werden nämlich die beiden entscheidenden Ausgangsfragen gar nicht gestellt:
- Wo haben wir in unserer aktuellen (integrierten Zusammen-) Arbeit die meisten Schmerzen?
- Wie wollen wir künftig besser (integriert zusammen-) arbeiten?
Immer wieder erlebe ich es, dass sich eine kleine Gruppe motivierter Profis oft aus der Presseabteilung und/oder der Social Media-Redaktion auf die Suche nach einem Tool macht. Damit sollen die Schmerzen in der operativen Kommunikationsarbeit mindestens gelindert werden. Diese Schmerzen entstehen meist bei der mühevollen Suche nach Themen, der Produktion und Abstimmung von Inhalten und der Publikation in den richtigen Formaten und Kanälen. Der beste Storytelling-Ansatz lässt sich eben nur umsetzen, wenn es auch Geschichten zu erzählen gibt.
Das Problem: Der Blick richtet sich in den meisten Fällen noch zu stark auf den eigenen Aufgabenbereich, die „eigenen Schmerzen“. Dabei sind es letztlich alle Kommunikationsbereiche, für externe wie interne Zielgruppen, die Themen und Inhalte benötigen. In vielen Unternehmen ist bis heute die Presseabteilung der Haupttreiber von Themen und Inhalten. Aus dem Fundus der Presseabteilung bedienen sich andere Abteilungen.
Das muss nicht per se falsch sein. Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht manches Thema wegen der entsprechenden Themenexpertise besser von einem Kollegen/einer Kollegin der internen Kommunikation, von Employer Branding, Investor Relations oder dem Marketing gesteuert wird. Die Antwort auf diese Frage kann auch das beste Tool nicht geben.
Was mich zum Ticketsystem zurückführt, mit dem sich der Kollege aus der Presseabteilung der großen Bank herumschlagen soll. „Wissen Ihre IT-Kollegen eigentlich, was Sie hier wie machen? Kennen die Ihre Prozesse und Aufgaben?“ habe ich ihn gefragt. „Vermutlich nicht. Ich habe unsere Pressearbeit in einem Meeting mal grob aufzeigt, aber hängen geblieben ist offenbar nur die Teilaufgabe Management von Presseanfragen. Da kam dann der Vorschlag mit dem Ticketsystem.“
Im Gespräch sind wir gemeinsam zum Schluss gekommen, dass das Ticketsystem nur die Teilaufgabe (Presseanfragen) einer Teilaufgabe (Pressearbeit) der gesamten Kommunikationsarbeit abdeckt. „Es ist gut, dass wir uns jetzt als Kommunikationsabteilung gemeinsam Gedanken machen wollen, wie wir künftig besser und integriert zusammenarbeiten. Eigentlich wissen wir schon lange, dass das dringend nötig ist. Aber Sie wissen ja: Man kommt im Alltag einfach nicht dazu, sich mit grundlegenden Fragen zu beschäftigen.“
Diese Aussage höre ich leider regelmäßig. Sie ist zugleich ein Stück weit entlarvend: Es ist ja Zeit bzw. es sind Ressourcen da für Projekte wie Storytelling-Ansätze, Internet-Relaunch, Videos oder neue Social Media-Tools. Solche Projekte machen meist richtig Spaß und lassen sich gut „verkaufen“. Den großen Elefanten im Raum namens „Bedarf an grundlegenden Veränderungen“ in der Organisation und Orchestrierung von integrierter Kommunikation im digitalen Zeitalter sieht jeder. Aber kaum jemand spricht darüber. Eine ehrliche Bestandsanalyse und präzise Zielbeschreibung erscheint wenig „sexy“ Es sei denn, man kann ein Ticketsystem oder andere Grausamkeiten vermeiden…